Spoiler zu Beginn: Fast alle sind verpflichtet. Aber informieren Sie sich hier lieber gründlich.
Wir starten mit einer eher trockenen Materie, die jedoch die Grundlage darstellt: Was steht in der EU-KI-Verordnung?
Grundsätzlich gilt die Verordnung für natürliche und juristische Personen (Unternehmen, Organisationen, Einzelunternehmer), die:
- KI-Systeme im Sinne der Definition in Art. 3 Nr. 1 entwickeln, in Verkehr bringen, bereitstellen oder nutzen,
- in der EU ansässig sind oder
- deren KI-Systeme Auswirkungen auf Personen in der EU haben (auch wenn der Anbieter selbst nicht in der EU sitzt).
Merke: Auch Unternehmen, die keine KI selbst entwickeln, sondern nur nutzen, können unter die Verordnung fallen.
Artikel 4 gilt für:
- Nutzer von KI-Systemen (Art. 3 Nr. 4) – also jede Person, die ein KI-System unter eigener Verantwortung verwendet (z. B. Vertrieb, Support, HR, Produktion).
- Betreiber / Bereitsteller – also interne Teams, die KI-Anwendungen konfigurieren, trainieren oder bereitstellen.
- Personen im Auftrag – z. B. externe Dienstleister, die für das Unternehmen KI-Systeme bedienen.
Ein Beispiel:
Auch wenn ein Unternehmen nur einen Chatbot oder ein Übersetzungstool im Alltag einsetzt, fällt es unter die „Nutzer“-Definition.
Laut Artikel 4 müssen alle, die im Unternehmen mit KI arbeiten, über eine angemessene Kombination aus
- technischen Kenntnissen,
- Erfahrung,
- Ausbildung oder Schulung
verfügen, um Risiken zu verstehen und das System sicher zu betreiben.
Das bedeutet:
- Ja, Pflicht → Wenn Mitarbeitende in irgendeiner Form mit KI-Systemen im Sinne der Verordnung interagieren.
- Nein, keine Pflicht → Nur wenn gar keine KI-Systeme im Unternehmen eingesetzt oder bereitgestellt werden – weder direkt noch indirekt über Drittsoftware.
Kurzform:
Jedes Unternehmen, das irgendeine Form von KI nutzt oder bereitstellt, fällt unter Art. 4 und muss sicherstellen, dass seine Nutzer und Betreiber ausreichend KI-Kompetenz haben.
Ausnahme: Unternehmen ohne jeglichen KI-Bezug.
Praxisbeispiele: Wann greift die Schulungspflicht nach Art. 4 EU-KI-VO?
Kategorie 1 – Unternehmen entwickelt selbst KI-Systeme
Typisch bei Tech-/Daten-getriebenen Firmen oder in F&E-Bereichen
Beispiele:
- Entwicklung eines Machine-Learning-Modells zur Absatzprognose (z. B. Python/Scikit-Learn, TensorFlow)
- Eigenentwickelter Chatbot mit Natural Language Processing
- Bild- oder Videoanalyse zur Qualitätsprüfung in der Fertigung (Computer Vision)
- Sprachsteuerung für Maschinen oder Apps
- KI-gestützte Betrugserkennung in Zahlungsprozessen
- Individuelle Empfehlungssysteme im E-Commerce (ähnlich wie Amazon-Empfehlungen, aber intern entwickelt)
- Prognosemodelle für Wartungsbedarf (Predictive Maintenance)
- KI-Module in Embedded Devices (z. B. intelligente Sensoren, Robotiksteuerung)
- Generative KI intern trainiert (z. B. eigenes LLM für Kundenservice-Wissensdatenbank)
Kategorie 2 – Unternehmen stellt KI-Systeme Dritten zur Verfügung
Auch dann relevant, wenn KI nur Teilfunktion eines Produkts oder Services ist!
Beispiele:
- SaaS-Plattform mit automatischer Texterstellung oder Übersetzung
- Recruiting-Software mit automatischer Lebenslaufanalyse
- Bildbearbeitungstool mit KI-basiertem Hintergrund-Entferner
- Analyse- oder Reporting-Tools mit Anomalieerkennung
- Routenoptimierungssoftware mit Machine-Learning-Optimierung
- Chatbots im Kundenservice, die Antworten automatisch generieren
- Gesundheits-App mit KI-gestützter Diagnoseunterstützung
- Lernplattform mit automatischer Aufgabenkorrektur oder personalisierten Lernpfaden
- Vertragsprüfungs-Tools mit NLP-gestützter Risikoanalyse
- CRM- oder ERP-Module mit KI-Vorhersagen (z. B. Sales Forecast, Lead Scoring)
Kategorie 3 – Unternehmen nutzt externe KI-Systeme
Die größte „Überraschungskategorie“ – viele Alltags-Tools enthalten KI, oft unbemerkt!
Beispiele:
- Bürosoftware:
- Microsoft 365 (Copilot in Word, Excel, Outlook, Teams)
- Google Workspace (KI-Autovervollständigung, Smart Compose in Gmail/Docs)
- Kommunikation & Kollaboration:
- Zoom (Live-Transkription, Meeting-Zusammenfassungen)
- Slack (KI-Such- und Zusammenfassungsfunktionen)
- Vertrieb & Marketing:
- HubSpot, Salesforce Einstein (Lead-Scoring, Prognosen)
- Mailchimp (Optimierungszeitpunkt für E-Mail-Versand)
- Kundensupport:
- Zendesk (KI-gestützte Ticket-Kategorisierung)
- Intercom (KI-Antwortvorschläge)
- Übersetzung & Sprache:
- DeepL, Google Translate, Microsoft Translator
- Otter.ai (Transkription, Meeting-Mitschriften)
- Design & Content-Erstellung:
- Canva (KI-Bildgenerator, Magic Write)
- Adobe Photoshop (Generative Fill, Objekterkennung)
- ERP/CRM/Branchensoftware:
- SAP (Predictive Analytics, Machine Learning Add-ons)
- Microsoft Dynamics 365 (Verkaufsprognosen, Textanalyse)
- Theorg mit KI-gestützter Terminplanung (in manchen Modulen)
- HR & Recruiting:
- Softgarden, Personio mit automatischer Lebenslaufanalyse
- LinkedIn Recruiter (KI-gestützte Kandidatenvorschläge)
- Fertigung & Logistik:
- IoT-Analysen in MES-Systemen
- Lagerverwaltung mit automatischer Nachfrageprognose
- Sicherheit & IT:
- Firewalls mit Anomalieerkennung (z. B. Palo Alto, Fortinet KI-Module)
- Microsoft Defender mit KI-basiertem Threat Detection
- Branchenspezifische Spezialfälle:
- Medizingeräte mit KI-Bilderkennung (Radiologie)
- Bauplanung mit KI-unterstützter Mengenermittlung
- Landwirtschaftsdrohnen mit Objekterkennung
💡 Praxis-Tipp:
Unternehmen sollten nicht nur fragen „Nutzen wir KI?“, sondern „Welche unserer Tools enthalten KI-Funktionen – auch als Nebenfunktion?“
Oft schlummern diese in Updates, ohne dass die IT oder Compliance es aktiv registriert.




